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Die Rolle von Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnen-Interessen bei der Gestaltung einer sozial-ökologischen Gesellschaft

Forschungsprojekt finanziert vom Klima- und Energiefonds (KLIEN)
März 2014 bis September 2016

 

Ökologische Probleme, allen voran der Klimawandel, stellen ein zentrales Feld von gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen dar. Die Fokussierung auf technologische Lösungen verstellt oftmals den Blick darauf, dass ökologische Fragen nicht unabhängig von sozialen Fragen diskutiert werden können bzw. ökologische Fragen immer auch soziale Fragen sind, beispielsweise jene der Verteilung von Einkommen, Vermögen, Macht und Lebenschancen. Gewerkschaften, als zentrale Akteure im Feld der „sozialen Frage“, spielen jedoch in den aktuellen politischen wie auch wissenschaftlichen Debatten um sozial-ökologische Umbauszenarien eine eher geringe Rolle. Außerdem werden die konkreten Interessen von ArbeitnehmerInnen in sozial-ökologischen bzw. klimapolitischen Strategien häufig zu wenig berücksichtigt, da Politiken oftmals auf der gesamtgesellschaftlichen oder individuellen Ebene ansetzen und damit die mögliche Wirksamkeit von kollektiven Interessensstrukturen wie die von ArbeitnehmerInnen vernachlässigen. Ausgehend von dieser Grundannahme stellt das Forschungsprojekt die Frage, wie es gelingen kann, die Rolle von Gewerkschaften bei der Formulierung von sozial-ökologischen Strategien zu stärken und somit auch die Interessen von ArbeitnehmerInnen in die konkrete Gestaltung von Umweltpolitik im Allgemeinen und Klimapolitik im Speziellen mit einzubeziehen. Das Forschungsprojekt will Potenziale für eine stärkere Verknüpfung sozialer, wirtschaftlicher und umweltpolitischer Themen seitens der Gewerkschaften aufzeigen und nicht auf der häufig geäußerten Kritik verharren, dass Gewerkschaften umwelt- und klimapolitisch zu wenig aktiv seien. Vielmehr geht es darum, Widersprüche sowie institutionelle und politische Hindernisse herauszuarbeiten, die das Engagement von Gewerkschaften bei sozial-ökologischer Politikgestaltung erschweren, und, in einem weiteren Schritt, bereits bestehende und mögliche Lösungsstrategien sichtbar zu machen. Die transdisziplinäre Ausrichtung des Projektes soll einen offenen Austausch zwischen gewerkschaftlichen und wissenschaftlichen Akteuren, ihren spezifischen Erfahrungen und ihrem Wissen ermöglichen. So war es uns ein Anliegen, dass Gewerkschaften und die Arbeiterkammer bereits bei der Antragsstellung involviert waren. Diese Herangehensweise als Grundprinzip des Forschungsprojektes soll gewährleisten, dass systematisches Wissen geschaffen wird, welches sowohl für die gewerkschaftliche als auch für die wissenschaftliche Praxis nutzbar gemacht werden kann.

Grundannahmen des Forschungsprojektes

1. Beschäftigte, Gewerkschaften und andere Interessenvertretungen von ArbeitnehmerInnen sind zentrale Akteure bei der Gestaltung einer sozial-ökologischen Gesellschaft, da die Umgestaltung von Produktion, Konsum und Arbeit hierfür ganz wesentlich ist.

2. Die Interessen von ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften sind nicht statisch. Sie sind eng verknüpft mit Lebens- und Arbeitsbedingungen, aber auch mit dem sich verändernden Verständnis von Lebensqualität und der Vorstellung von einem „guten Leben“. Das heißt, dass sich diese Interessen durch sozio-ökonomische und kulturelle Bedingungen verändern und vor dem Hintergrund von gesellschaftlichen Herausforderungen (wie beispielsweise dem Klimawandel) neu formuliert werden.

3. Die österreichischen Gewerkschaften sind traditionell stark in die konkrete Politikgestaltung in Österreich integriert. Sie spielen jedoch auch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung von Wertevorstellungen und der Herausbildung von politischem Bewusstsein bei ArbeitnehmerInnen.

4. Aktuell ergibt sich aus dem System des Austro-Korporatismus und der Sozialpartnerschaft ein „klimapolitischer Korporatismus“. Klimapolitik wird oftmals – und in der EU-Krise tendenziell verstärkt – den Themen ökonomisches Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und der Schaffung von Arbeitsplätzen nachgereiht.

5. Umwelt- bzw. Klimapolitik wird, so wie die meisten anderen Politikfelder auch, nicht ausschließlich auf nationaler Ebene verhandelt. Neben der EU spielt dabei auch die Bundesländerstruktur in Österreich eine Rolle. Dennoch gibt es auf nationalstaatlicher Ebene einen Spielraum für eine klimapolitische Vorreiterrolle.

6. Der Klimawandel und ökologische Probleme sind durch einen bestimmten Grad an Unsicherheit gekennzeichnet, was die Entwicklung von Strategien zu einem umkämpften Feld macht. So ist die Tragweite ökologischer Probleme ebenso immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen wie die Frage der Kosten von Vermeidung oder Anpassung an ökologische Probleme, insbesondere den Klimawandel.

Zentrale Fragestellungen

Es erscheint uns wesentlich, bereits bestehende gewerkschaftliche Ziele und Strategien sowie positive Erfahrungen und Projekte aufzuzeigen und die Frage zu beantworten, wie ökologische Probleme innerhalb von Gewerkschaften wahrgenommen werden, welche Handlungsspielräume, aber auch Grenzen es gibt, welche Widersprüche und Hindernisse bei der Formulierung von sozial-ökologischen Strategien auftreten und welche neuen Lösungsstrategien gefunden werden können.

  • Wie werden Klimawandel und ökologische Probleme innerhalb von Gewerkschaften thematisiert und behandelt? Besteht die Notwendigkeit, dass die Gewerkschaften ihr Verständnis von Klimawandel als sozio-ökonomische und politische Herausforderungen zumindest teilweise verändern?
  • Welche institutionellen und Interessenstrukturen bestehen gegenwärtig im Bereich der Klima- und Umweltpolitik? Wie werden politische Interessen (die ja durchaus wandelbar sind) intern und nach außen formuliert?
  • Welche Rolle hatten Gewerkschaften in der jüngeren Vergangenheit, haben sie aktuell und welche Rolle könnten sie in Zukunft innehaben, wenn es darum geht, die Interessen von ArbeitnehmerInnen in der österreichischen Umwelt- und Klimapolitik zu vertreten?
  • Welche Rolle kommt Gewerkschaften beim Umbau zu einer klimafreundlichen Gesellschaft zu?
  • Welche formellen Allianzen und informellen Kooperationen gehen Gewerkschaften ein, um ihre Ziele und Strategien zu entwickeln und zu verfolgen?
  • Welche Einschätzungen und Positionen gibt es in den Gewerkschaften in Bezug auf das Projekt einer sozial-ökologischen Transformation der Produktions- und Lebensweisen? Welche Positionen gibt es im Hinblick auf ökologische Nachhaltigkeit, Wohlstand und (Wahl-/Entscheidungs-)Freiheit, Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen, Demokratie und Partizipation, politische Machtfragen, das Verhältnis von Markt und Planung oder die Einbeziehung internationaler Dimensionen (EU, Weltmarkt, Nord-Süd-Verhältnis).

Vorgehensweise

Das Forschungsprojekt ist angesiedelt am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien (Leitung Ulrich Brand, Mitarbeit Kathrin Niedermoser) und wird durchgeführt in Kooperation mit der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA, Hubert Eichmann), dem Institut für Höhere Studien (Astrid Segert, Beate Littig) und dem Department für Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien (Sigrid Stagl). Seitens der Gewerkschaften sind aktiv involviert Christian Fölzer (Gewerkschaft Bau Holz), Heinz Höglsberger (Gewerkschaft vida), René Schindler (Gewerkschaft PRO-GE) sowie seitens der Arbeiterkammer Wien die Abteilung Umwelt und Verkehr (Leitung: Sylvia Leodolter; während der Antragstellung beteiligt: Sven Hergovich). Um einen kontinuierlichen und stetigen Austausch mit ExpertInnen aus Gewerkschaften, Arbeiterkammer und anderen (Forschungs-)Institutionen zu gewährleisten, gibt es einen wissenschaftlichen Beirat, der den Forschungsprozess begleitet.

Das Projekt gliedert sich in acht Arbeitspakete (work packages).

  1. Koordination des Projektes am Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Wien, verantwortlich hierfür: Nicola Sekler.
  2. Sammlung und Systematisierung wissenschaftlicher Literatur, wichtiger Studien und Berichte, Policy-Dokumente sowie Interviews, um einen Überblick über bestehende gewerkschaftliche Ziele, Strategien, Vorschläge und bereits realisierte Initiativen – sowie deren Erfolge und Probleme – im Umbau hin zu einer klimafreundlichen Gesellschaft zu erhalten. Verantwortlich: IPW und FORBA.
  3. Kick-off Workshop im September 2014, Abschlusskonferenz sowie vier Stakeholder-Dialoges zu den unterschiedlichen Fallbeispielen zur Vorstellung und Diskussion der gewerkschaftlichen Problemdeutungen, Ziele, Strategien und bereits umgesetzten Praktiken. Hier werden notwendigerweise Schwerpunkte gebildet werden müssen, die gemeinsam mit den im Projekt involvierten ausgewählt werden. Das gesamte Projektteam ist involviert.
  4. Fallstudie Mobilität: Im Mittelpunkt steht hier die Rolle der Beschäftigtenorganisationen im Bereich Mobilität als zentralem Sektor im Umbau zu einer klimafreundlichen Gesellschaft. Politiken hin zu einer klimafreundlichen Mobilität sind für bestimmte Industrien, ihre Beschäftigten und Interessenorganisationen, aber auch für die öffentliche Politik voller Spannungen. Die Fallstudie wird von Astrid Segert vom Institut für Höhere Studien durchgeführt.
  5. Fallstudie Energie: Hier wird die Rolle der Gewerkschaften in der österreichischen Energiepolitik untersucht. Obwohl sich gerade politische Maßnahmen zur Energieeffizienz auf einen breiten Konsens stützen können, gibt es diesbezüglich in Österreich bislang wenig konkrete Ansätze, ganz zu schweigen von weiterreichenden Energieeinsparungen. Auch der Stellenwert erneuerbarer Energien wird Gegenstand dieser Fallstudie sein, die von Sigrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität Wien durchgeführt wird.
  6. Fallstudie Arbeitszeit: Strategien der Arbeitszeitverkürzung haben eine lange und lange Zeit erfolgreiche gewerkschaftliche Tradition, auch in Verbindung mit Umweltfragen (z.B. gesundheitspolitischer Art). Wie wird das Thema Arbeitszeitverkürzung in den jüngeren Jahren thematisiert und mit sozial-ökologischen und insbesondere mit Klimafragen verbunden? Welche positiven Erfahrungen gibt es? Die Fallstudie wird von Hubert Eichmann von FORBA durchgeführt.
  7. Fallstudie Konsum: Die Etablierung von nachhaltigen Konsummustern stellt eine zentrale Herausforderung innerhalb der aktuellen sozial-ökologischen Transformationsdebatte dar. Ein Anknüpfungspunkt für Gewerkschaften ist die Verbraucherschutzpolitik. Darüber hinaus stellen jedoch auch Wohlstandsmodelle, Verteilungsfragen und die Verknüpfung von sozialen und ökologischen Fragestellungen vor dem Hintergrund einer globalen Arbeitsteilung einen wichtigen Pfad für die Hinterfragung vorherrschender Konsummodelle dar. Welche Ziele und Strategien werden von Gewerkschaften in Bezug auf nachhaltige Konsummuster formuliert? Welche Bedingungen oder Hindernisse ergeben sich bei der konkreten Umsetzung? Diese Fallstudie wird von Kathrin Niedermoser vom IPW durchgeführt.
  8. Das achte Arbeitspaket beinhaltet die Sammlung, Klassifizierung und Aufbereitung internationaler „best practices“ gewerkschaftlicher Aktivitäten im Hinblick auf einen sozial-ökologischen Umbau hin zu einer klimafreundlichen Gesellschaft. Eine einzurichtende Webpage wird zudem den Austausch von Erfahrungen anregen und festhalten. Dieses Arbeitspaket wird koordiniert von FORBA.

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